Hintergrund
Wie kaum eine andere Entwicklung wird der voranschreitende Klimawandel unser soziales Leben und unser wirtschaftliches Handeln in Zukunft verändern. Selbst optimistische Szenarien prognostizieren einen deutlichen Anstieg von Extremwetterereignissen und damit einhergehender Veränderungen. So schätzte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bereits im Jahr 2013, dass sich die Auswirkungen des Klimawandels auf die deutsche Wirtschaft bis 2050 auf rund 800 Mrd. Euro belaufen. Dennoch bleibt konkretes, konzertiertes Handeln auf Grundlage wissenschaftlicher Einschätzungen weiterhin eine Seltenheit. Und das, obwohl bereits heute erste Auswirkungen auch finanziell spürbar sind.
Der Ansatz der EU für eine nachhaltige Finanzwirtschaft
Mit dem Pariser Klimaabkommen haben sich die Staaten dieser Welt im Jahr 2015 dazu verpflichtet, den globalen Temperaturanstieg auf 2°C zu begrenzen und Anstrengungen zu unternehmen, nicht mehr als 1,5°C zu erreichen. Um ihren Teil beizutragen, hat die europäische Staatengemeinschaft die Transformation der europäischen Wirtschaft zur Vorreiterin einer zukunftsfähigen und klimaneutralen Gesellschaft ausgelobt. Dazu bedarf es Schätzungen zufolge jährliche Investitionen in Höhe von 175 bis 290 Mrd. Euro. Laut Europäischer Kommission spielen private Investoren bei der Deckung dieser Investitionslücke eine entscheidende Rolle.
Bislang allerdings fallen die entsprechenden Investitionen zu gering aus. Ein Grund dafür ist ein fehlendes Signal, welche Investitionen die europäischen Klimaschutzziele konkret unterstützen. Um Abhilfe zu schaffen, hat die EU-Kommission einen Plan erarbeitet, der nachhaltige Finanzierungen stärken soll. Er umfasst folgende Punkte:
Am 18. Juni 2020 verabschiedete das Europäische Parlament die Verordnung über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen. Damit ist ein wichtiger Meilenstein des Plans erreicht. In der Verordnung werden die Offenlegungspflichten von Unternehmen definiert, welche Umweltziele prinzipiell in der Einstufung enthalten werden müssen, welche Mindeststandards für Menschenrechte einzuhalten sind und dass einheitliche technische Bewertungskriterien zur Einstufung ökologisch nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten genutzt werden müssen. Zudem wird empfohlen, eine Plattform für nachhaltiges Finanzwesen zu etablieren, die die weitere Entwicklung betreuen soll.
Die EU-Taxonomie
In diesem Kontext wurde für die Erarbeitung einer ersten Version der technischen Bewertungskriterien im Juli 2018 eine Expertengruppe (TEG) beauftragt, ein Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten zu erstellen, die mit den Klimaschutzzielen übereinstimmen. „EU-Taxonomie" nennt sich dieses Klassifizierungssystem, das im März 2020 mit dem Final Report of the TEG on the EU taxonomy vorgeschlagen wurde. Bis Ende 2020 will die Kommission die für die Umsetzung notwendigen delegierten Rechtsakte veröffentlichen.
Die inhaltliche Grundlage der EU-Taxonomie bieten folgende sechs Umweltziele:
Um im Sinne des Taxonomie-Systems als ökologisch nachhaltig zu gelten, müssen Wirtschaftsaktivitäten in einem dieser sechs Umweltziele einen deutlich positiven Effekt erreichen. Gleichzeitig dürfen sie keine erheblichen Beeinträchtigungen auf die anderen fünf Umweltziele haben. In dem System nennt sich dies „Do No Significant Harm" (DNSH). Für alle sechs Umweltziele werden technische Bewertungskriterien entwickelt, anhand derer die konkreten Aktivitäten auf ihre ökologische Nachhaltigkeit hin beurteilt werden können.
Mit den aktuell durch die Taxonomie abgedeckten Wirtschaftsaktivitäten hat die TEG eine Priorisierung auf Sektoren1 gelegt, die für 93,5 Prozent aller direkten Treibhausgasemissionen der EU verantwortlich sind. Für diese Aktivitäten hat die TEG einerseits Bewertungskriterien für positive Beiträge zu den Umweltzielen „Klimaschutz" und „Anpassung an den Klimawandel" definiert. Ebenfalls festgelegt wurden die jeweiligen DNSH-Bewertungskriterien für die anderen Umweltziele.
Die Taxonomie-Anforderungen für den Bau- und Immobiliensektor
Im Bau- und Immobiliensektor gehören zu den von der TEG betrachteten Aktivitäten
Um gemäß der Definition der Taxonomie einen positiven Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, muss bei der Planung und dem Bau neuer Gebäude ein Netto-Primärenergiebedarf sichergestellt werden, der mindestens 20 Prozent unter dem in den nationalen Regularien vorgeschriebenen Niedrigstenergie-Niveau liegt.
Für Renovierungen gilt, dass sie die lokalen nationalen oder regionalen Anforderungen für „größere Renovierungen" nach der EU-Gebäuderichtlinie (Energy Performance of Buildings Directive – EPBD)2 erfüllen müssen, oder aber mindestens eine Verbesserung des Primärenergiebedarfs um 30 Prozent bedingen. Investitionen in Einzelmaßnahmen und Dienstleistungen zählen als nachhaltig, wenn sie zur Reduzierung der Energieverbräuche und/oder CO2-Emissionen eines Gebäudes beitragen.
Für Erwerb und Eigentum gilt, dass Gebäude (Baujahr nach 2021) die Kriterien des Neubaus erfüllen müssen. Gebäude, die vor 2021 gebaut wurden, müssen während der Nutzungsphase mit den obersten 15 Prozent des nationalen Bestands in Bezug auf den berechneten Primärenergiebedarf vergleichbar sein. Zusätzlich zu den Klimaschutzkriterien sind noch die jeweils formulierten DNSH-Kriterien einzuhalten.
Weiterentwicklung der EU-Taxonomie
Perspektivisch werden die technischen Bewertungskriterien der Taxonomie für Gebäude noch weiterentwickelt. Während aktuell der Fokus noch auf der Primärenergie als Kennwert liegt, hat die TEG bereits deutlich gemacht, dass in ihren Augen in Zukunft eine Betrachtung der Treibhausgasemissionen die Basis der Bewertung sein sollte. Ebenfalls in Aussicht gestellt wurde, dass die sogenannten „grauen Emissionen", also die klimaschädlichen Gase, die aus Produktion, Errichtung, Instandhaltung und Lebensende eines Gebäudes resultieren, Teil der Taxonomie-Anforderungen werden.
Die Taxonomie wird als Klassifizierungssystem ein zentraler Bestandteil der Sustainable-Finance-Aktivitäten der EU sein. Sie wird nach ihrer Verabschiedung der europäische Standard für nachhaltige Investitionen sein. Durch die avisierte Offenlegungspflicht für Finanzinstitutionen und Investoren bezüglich ihrer Taxonomie-Konformität wird die Aufnahme durch den Markt sichergestellt. Dank der Vorbildfunktion der EU im weltweiten Kontext ist zudem damit zu rechnen, dass die Taxonomie auch über die EU hinaus als internationaler Standard Beachtung und Anwendung finden wird.
Die DGNB Zertifizierung als Tool zur Umsetzung der Taxonomie-Anforderungen
Seit 2009 zeichnet die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) mit ihrem Zertifizierungssystem nachhaltige Gebäude, Quartiere und Innenräume aus. Bis Mitte 2020 konnten mehr als 6.800 Projekte in rund 30 Ländern weltweit den Zertifizierungsprozess der DGNB erfolgreich abschließen. Für Gebäude umfasst dies neben Neubauten auch Sanierungen sowie den Gebäudebetrieb. Inhaltlich gilt das DGNB System als das ambitionierteste und fortschrittlichste seiner Art. Über Partnerorganisationen in Österreich, der Schweiz, Dänemark und Spanien findet die Zertifizierung insbesondere in Europa umfassende Anwendung. Der ganzheitliche, lebenszyklusbasierte und performanceorientierte Ansatz des DGNB Systems bildet die Grundlage für ein gemeinsames europäisches Verständnis der Anforderungen einer nachhaltigen Bauweise.
Dass Investoren und Finanzinstitute über die Anwendung verschiedener Zertifizierungssysteme der DGNB bestens gerüstet sind, um die Kriterien und Anforderungen der EU-Taxonomie verlässlich zu dokumentieren und zu erfassen, zeigt der direkte inhaltliche Abgleich beider Systeme. Dieser verdeutlicht, wie hoch die Überstimmung der jeweiligen Ansätze ist.
Neubau
Für den Neubau lassen sich sieben der insgesamt elf technischen Bewertungskriterien mit den Anforderungen, die im DGNB System für Neubauten gefordert sind, verifizieren. Die vier übrigen Bewertungskriterien der Taxonomie sind in Deutschland bereits über gesetzliche Mindestanforderungen hinreichend abgedeckt. Andersherum leistet auch die Erfüllung der Taxonomie-Kriterien einen positiven Beitrag auf das Zertifizierungsergebnis der DGNB. Im Neubau umfasst dies gut ein Fünftel aller Bewertungspunkte innerhalb der Kriterien der ökologischen Qualität.
Renovierung / Sanierung
Der Umgang mit dem Gebäudebestand nimmt bei der Klimaschutzfrage im Gebäudesektor eine herausragende Rolle ein. Dies betrifft zum einen die deutliche Erhöhung der Sanierungsquote bestehender Gebäude sowie die damit verbundenen Qualitätsstandards der Maßnahmen. Über die Einhaltung und Einforderung der Taxonomie-Kriterien haben Investoren hier einen wesentlichen Einfluss. Der Abgleich zwischen den Kriterien der Taxonomie und des DGNB Systems im Bereich Sanierung zeigt eine vollständige Abdeckung. Alle neun Bewertungskriterien der EU-Taxonomie sind im DGNB System für die nachhaltige Sanierung von Gebäuden verankert. Somit sind diese verlässlich im Rahmen einer DGNB Zertifizierung prüfbar und nachweisbar.
Erwerb und Eigentum / Gebäude im Betrieb
Aber nicht nur Neubau und Sanierung, auch der Erwerb und Besitz von Immobilien sowie die damit verbundenen Optimierungen im Gebäudebetrieb sind entscheidende Hebel für mehr Klimaschutz im Sektor. Es ist daher richtig und wichtig, dass der Bereich des Betriebs von Gebäuden als ein „lebender" Standard in der Taxonomie beschrieben wurde, dessen Anforderungen mit der Zeit verschärft werden. Über die kommenden Regulierungen wie die Offenlegungs- und die Taxonomie-Verordnung sind Betreibende und Bestandshalter aufgefordert, die Taxonomie-Konformität ihrer bestehenden oder zu erwerbenden Objekte nachzuweisen. Banken und andere Finanzierer können erst damit bewerten, wie nachhaltig ihre Finanzströme sind.
Auch für diese Berichtspflicht bietet die DGNB mit ihrem Zertifizierungssystem für Gebäude im Betrieb in der neuesten Version aus dem Jahr 2020 die optimale Basis für die passenden Methoden und verlässliche Daten. Im neuen Anhang zum dazugehörigen Kriterienkatalog lässt sich für Anwender genau nachvollziehen, welche Elemente sie im Zertifizierungsprozess einhalten und nachweisen müssen, um zeitgleich mit dem DGNB Zertifikat auch eine Bestätigung zur Taxonomie-Konformität des Objektes durch die DGNB zu erhalten.
Werden die Taxonomie-Kriterien bei Bestandgebäuden eingehalten, so können Gebäude mit Energiemanagement bereits rund ein Fünftel aller erreichbaren Punkte bei der Bewertung im DGNB System für Gebäude im Betrieb erzielen. Bei Zugrundelegung der zukünftigen Taxonomie-Kriterien, die wie oben beschrieben noch stärker auf tatsächliche Klimaschutz-Verbesserung eingehen, sind es sogar fast ein Viertel der möglichen Bewertungspunkte.
Beim DGNB System für Gebäude im Betrieb liegt ein besonderer Fokus auf dem strategischen Klimaschutz, den entsprechenden Risikobetrachtungen sowie den Taxonomie-Anforderungen. Damit stellt die DGNB allen Bestandshaltern ein Analyse- und Managementinstrument zur Verfügung, um für Einzelgebäude aber auch ganze Portfolios die richtigen und relevanten Informationen strukturiert zu erfassen. Damit bekommen sie eine fundierte Entscheidungsgrundlage, die es ermöglicht, Risiken zu minimieren und die Klimaschutzziele so wirtschaftlich und sinnvoll wie möglich zu erreichen. Der daraus resultierende Klimaschutzfahrplan zeigt die erforderlichen Maßnahmen in einer zeitlich sinnvollen Abfolge auf.
Gemeinsame Studie der DGNB mit europäischen Partnern zur Anwendbarkeit der Taxonomie-Kriterien
Die DGNB hat gemeinsam mit dem Green Building Council España (GBCe), der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI) und dem Green Building Council Denmark (DK-DGBC) eine Studie zur Bewertung der Marktfähigkeit der Taxonomie gestartet. Ziel der Studie ist es, anhand realer Gebäude zu überprüfen, inwieweit die Anwendung dieser neuen EU-Kriterien den Bewertungsprozess von Finanzinstitutionen, Bestandshaltern und Investoren beeinflussen. Zusätzlich wird untersucht, wie die Kriterien konkret angewandt werden und wie gut Unternehmen auf künftige Gesetzgebung vorbereitet sind.
1 Die Sektoren sind „Forstwirtschaft", „Landwirtschaft", „Industrie", „Strom, Gas, Dampf und Klimaanlagen", „Wasser, Abwasser, Abfall und Sanierung", „Transport und Lagerung", „Gebäude", „Finanz- und Versicherungstätigkeiten" sowie „wissenschaftliche und technische Aktivitäten".
2 Die überarbeitete Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EU) 2018/844 trat am 9. Juli 2018 in Kraft. Die neue EU-Richtlinie umfasst Maßnahmen, die die Geschwindigkeit der Gebäudesanierung in Richtung energieeffizienterer Systeme beschleunigen sowie die Energieeffizienz neuer Gebäude verbessern und intelligenter machen soll. Sie setzt die Energiestandards für Gebäude bis 2030.
Felix Jansen
Abteilungsleiter PR, Kommunikation und Marketing
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